Donnerstag, 4. Oktober 2012

Bicistaffetta 2012 - Tag 1

12.09.2012, Tarvisio - Udine, 110 kmGPS Track
Abfahrt sollte um 8:15 Uhr sein. Wie ernst es alle Teilnehmer nahmen merkte ich an der Tatsache, dass meines Zimmergenossen Francescos Wecker 5 Minuten vor meinem läutete. Um 6:40 Uhr. Francesco ist Präsident von "Il Ciclamino Matera", dem Kreisverband von Matera, der Hauptstadt der Region Basilicata und somit der weitest gereiste Italiener. Nach ausgiebigem Frühstück ging es pünktlich los.

Abfahrt Tarvisio
Brücke über den Rio Bartolo
Der Wetterdienst hatte Regen angesagt. Besser gesagt Dauerregen mit Starkregen. Dementsprechend ausgerüstet war die Truppe angetreten. Da jeder so sein eigenes Konzept für Regenfahrten hat, war das ein lustig anzusehendes Ensemble. Bemerkenswert fand ich vor allem die Variante Crocks statt Schuhe, um jene trocken zu halten. Aber das schlechte Wetter lies noch auf sich warten und wir wiegten uns in trügerischer Hoffnung auf trockenen Ausgang des Tages.

Rastplatz auf der BicItalia N°5
bei Valbruna

Die ersten Kilometer führten über die gleiche gute Fahrbahn, die mich am Tag vorher nach Tarvisio geleitet hatte. Auf einer weiten Hochebene verließ die Strecke für eine Weile den Flusslauf der Fella, als wir ihn wiederfanden wurde die Strecke immer schöner und das Wetter immer schlechter. Dieser Teil des Radweges führt auf der Trasse der ehemaligen Pontebbana, einer stillgelegten Bahnstrecke, von Tarvisio bis nach Resiutta. Von dort soll sie nach Fertigstellung noch mindestens bis Venzone führen. Einige kurze Abschnitte muss man bis zur Fertigstellung 2013 noch auf der Staatsstrasse überbrücken doch das bisher Geleistete lässt sich sehen. Eine Vielzahl an Tunnels und Brücken macht die Fahrt unvergessen, denn wann kann man schon als Radfahrer einen Tunnel sein eigen nennen. Wenn man über eine der Brücken fährt, die mit massiven Stahlgittern ausgelegt sind, schlägt das Herz höher. Sieht man nach unten, glaubt man über die Fella zu fliegen. Die Brücken sind wunderschön restauriert und man kann deutlich erkennen, welcher Nutzung sie urpsprünglich zugedacht waren. So fährt man auch an den verlassenen Bahnhöfen vorbei, die bis auf wenige Ausnahmen sich selbst überlassen wurden. Es gibt sicherlich wenige Bahntrassenradwege, die einen Radwanderer so spektakulär durch ein Alpenflusstal in die Tiefe führen. Auch die unvermeidliche Autobahn kann diesen Eindruck nicht trüben und es gibt sowieso nicht viele Alpenbahntrassenradwege, die sich ohne Autobahnbegleitung durch die Täler winden. Ich kann nur immer wieder mit Überzeugung feststellen, wie viel weniger man von einer Fahrt auf der Autobahn durch die Alpen an Erinnerungen und Eindrücken mit nach Hause bringt.

Von San Leopoldo Lagliese (Leopoldskirchen) ging es baubedingt auf der wenig befahrenen Landstrasse bis kurz nach Pontebba und hinter dem Kirchlein San Rocco schob ich meinen 20-Kilo Roadster mit 25 Kilo Gepäck auf einer Art Rampe wieder auf den Bahntrassenweg zurück, aber irgendwo auf der Fahrt durch Pontebba hat sich die Gruppe etwas zergliedert und so fuhr ich wieder mal alleine, weil ich beim Fotografieren immer wieder stehen geblieben war. Ich wartete aber vor der Einfahrt zum nächsten Tunnel, war ich mir doch sicher noch jemanden hinter mir gesehen zu haben. Nach ein paar Minuten kam auch schon Sandro, ein extrem rüstiger Pensionär mit vermindert einsatzfähigem rechten Bein, der die ganze Tour locker abgestrampelt hat. Sonst kam keiner mehr und  deshalb fuhren wir bald weiter, wussten aber nicht so recht ob der Tross vor uns oder hinter uns war. Ein Umstand, der uns nie 100% aufgeklärt werden konnte. Nach etwa 5 km zu zweit alleine, über die herrlichsten Brücken und durch endlose Tunnels, in denen das GPS Gerät längst seine Peilung verloren hatte, liessen wir ein Schild mit dem guten Rat als Aufschrift, nicht weiterzufahren und die Strecke zu verlassen hinter uns. Wir hatten aber weder eine Ausfahrt gesehen noch einen Hinweis darauf und in so einem Fall fährt der Radwanderer eben weiter. Nach weiteren 4 km trafen wir auf eine Absperrung. Praktischerweise war das Gitter hinter einer Brücke, an der Einfahrt zu einem Tunnel angebracht, es gibt also keinen Weg hinunter zur Staatsstrasse und wir hatten keine andere Wahl als über das Gitter zu klettern, es sei denn wir wollten den ganzen Weg zurück bis zur Ausfahrt fahren. Als erstes ging ich rüber, half Sandro über das Hindernis zu klettern, dann musste ich nochmal zuück um meinem Begleiter die Räder zu reichen. Aus dem Tunnel heraus rutschten wir eine Böschung hinunter auf die Strasse, fuhren an Chiusaforte vorbei und hielten bei strömendem Regen an einer Tankstelle um Verbindung mit den anderen aufzunehmen. Wir wussten noch immer nicht ob wir vor oder hinter der Gruppe waren. In Wahrheit waren wir jedoch vor der ersten Gruppe, die in Chiusaforte Rast gemacht hatte, dann auf die Pontebbana zurückkehrte und an uns - von uns unbemerkt - vorbei- und weiterfuhr. Wir machten uns auch wieder auf den Weg und trafen an einem nahe gelegenen Parkplatz Silvano, den uns begleitenden Transporterfahrer, der uns über die Lage der Dinge aufklärte. Hinter uns seien auch noch ein paar Nachzügler und demnach waren wir in der Mitte. Wir warteten kurz und fuhren mit den anderen weiter. Bis Venzone gab es kaum Bemerkenswertes mehr, die Pontebbana war an ihrem vorläufigen Ende angelangt, es regnete in Strömen und man fuhr wieder im grossen Verband.

Venzone allerdings war wieder ein Highlight. Es gab das erste Mittagessen nach einigen typisch italienischen Hin-und-Hers. Erst sollte auf Amedeo Pascolo, den Bürgermeister von Venzone gewartet werden, dann wurde zu Tisch geladen um uns bald darauf wieder hinaus in den Regen zu bitten, was aber gleich wieder geändert wurde, weil der Bürgermeister sich erbot, die von Nässe geplagten anstatt im Rathaus, in der Trattoria zu empfangen. Dieser Besuch geriet relativ kurz und eine kleinere Abordnung begleitete den Bürgermeister in das historische Museum dieses aussergewöhnlichen Ortes. Venzone wurde 1965 zum Nationalmonument erklärt, im Jahr 1976 vollständig, bis auf seine  Grundmauern von einem Erbeben ausradiert und in einem beispiellosen Akt der Hilfsbereitschaft, mit Geldern aus aller Welt wiederaufgebaut. Eine umfangreiche Bildergalerie zeugt heute von den unvorstellbaren Zerstörungen und vom unbeugsamen Willen der Bewohner, ihr Städtchen wiederaufzubauen.

Gestärkt fuhren wir weiter im unbarmherzigen Regen. Wir hatten noch etwa 40 km vor uns und der Weg führte uns noch für eine Weile am Tagliamento entlang, dem bedeutendsten der letzten alpinen Wildflüsse und einer der bedeutendsten Europas. Die Strecke wurde jetzt etwas eintönig und man war darauf bedacht nicht vom Kurs abzukommen. Bisher war es relativ einfach in die richtige Richtung zu fahren, die Beschilderung war zusätzlich hervorragend (bis auf die fehlende Ausfahrtsbeschilderung) aber jetzt wurde es ein wenig schwierig, die kleinen braunen BicItalia Zeichen zu entdecken. Es waren jetzt nur noch Aufkleber, die auf Strassenbeschilderungsmasten aufgeklebt waren und einen Richtungspfeil aufwiesen. Sehr verfänglich! Bis 10 Km vor Udine ging es ganz gut aber dann hatte sich das Feld wieder auseinandergezogen und auf einem elenden Schotterweg hatte ich erneut das Gefühl auf jemanden warten zu müssen. Ich wartete also in einem Waldstück im öffentlichen Park von Tavagnacco auf .... Umberto. Nach weiteren Minuten des Wartens wurde uns klar, dass wir alleine bleiben würden. Die anderen hinter Umberto und mir hatten einen anderen Weg eingeschlagen. Ich beschloss auf mein GPS zu vertrauen, in das ich vorsorglich die Hotels als Wegpunkte angelegt hatte. Umberto beschloss auf mich zu vertrauen, mit zunehmend fortschreitender Dunkelheit und anhaltend heftigem Regen wirkte seine Zuversicht aber leider nicht gefestigter. Wir zuckelten auf teilweise pferdepfadgleichem Ruckelweg vor uns hin und ich musste die ein oder andere Wegkorrektur vornehmen. Umberto war mit seinem wunderschönem Brompton Faltrad nicht optimal gerüstet für dieses Terrain und lamentierte verständlicherweise. In Udine suchte ich mangels Ortskenntnis einfach den kürzesten Weg und als ich in meiner Verzweiflung entgegen aller Einbahnstrassen zu fahren und Umberto den Glauben an meine Orientierungsfähigkeit zu verlieren begann standen wir urplötzlich direkt vor dem Hotel. Umberto fiel mir um den Hals, was ich selbst auch gerne getan hätte, denn wir waren sogar vor allen anderen im Hotel, wovon wir uns bei der Hotelrezeptionistin überzeugen konnten. Wir gingen auf unsere Zimmer, nässten den Hotelflur ordentlich ein, duschten uns, versorgten unsere durchnässten Klamotten und warteten auf die anderen. Als diese ankamen regnete es nocheinmal aus vollen Rohren und es standen plötzlich 50 Radler vor der Tür, die nur eines wollten: In das Hotel. Ich zeigte einem nach dem anderen den Weg zur Garage und als dann der Run auf die Zimmerschlüssel losging wurde das Hotel aber erstmal so richtig eingesaut. Jeder Radler war wohl mit  mindestens 3 Liter Wasser vollgesogen.

Furio Honsell, Antonio Dalla Venezia
Bald war auch der Grund offenkundig, warum wir vor der Gruppe im Hotel eingetroffen waren. Wir hatten durch unsere Einzelheinzaktion den Empfang bei Furio Honsell, dem Bürgermeister von Udine verpasst, konnten uns aber nicht so richtig dafür schämen. Es war ja nicht unsere Schuld, dass wir verloren gegangen waren. Die Strapazen des Tages wurden mit einem späten Abendessen vergolten dennoch wurde der Abend verständlicherweise nicht mehr so lang wie der vorherige.




Fotostrecke Pontebbana:

Erster Tunnel, mit Beleuchtung
Brücke über die Fella

kurzer Tunnel, ohne Beleuchtung

Die Autobahn begleitet uns
Galerie 
2 unsanierte Tunnel 
Brücke über die Fella 
Sandro auf Brücke über die Fella 
Brücke über die Fella

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